Ah, da bist Du ja wieder. Hattest Du genug Zeit die Reise zu überdenken und zu beurteilen? Setz’ Dich zu mir auf die Bank und genieße die lauen Sommerwinde. Lausche den Blättern und Vögeln und genieße die Wärme der Sonne auf deinem Gesicht. In wenigen Momenten werden wir an einen Ort gehen, an dem es nicht ganz so ruhig ist.
Noch einmal Luft holen
Mitte Februar war Stichtag für unsere kleine Prinzessin. Ein Freund hat auch an diesem Tag Geburtstag und so war die Spannung groß ob wir an diesem Tag zwei Geburtstage feiern konnten. Jedoch tat sich den ganzen Tag nichts. Obwohl meine Frau kaum noch in der Lage war normale Tätigkeiten ohne große Anstrengungen zu bewältigen, wollte Sie gerne mit auf die Feier unseres Freundes. Dort bestaunte man ihren Bauch und wettete im Geheimen wann es wohl losgehen würde. Für mich war bis zu diesem Zeitpunkt alles normal. Mein Gefühl hatte sich nicht großartig verändert und ich fragte mich immer mal wieder ob das so ok war, aber hey, ändern konnte ich es eh nicht.
Wir fuhren gegen 23 Uhr nach Hause und legten uns wie gewohnt schlafen. Ich im Kinderzimmer und meine Frau im Schlafzimmer, inklusive Rückenschmerzen und Wärmflasche, damit ihr zweistündiger Toilettenrhytmus, und andere Dinge, mich nicht weckten.
Startschuss
“Schatz?”
*liebevolles Schütteln an meiner Schulter*
“Schatz?”
*erneutes Schütteln an meiner Schulter*
“Schatz!!!”
*Schütteln wurde nun zu Schubsen*
“Huh?”
*Ich öffnete verschlafen die Augen, meine Frau anblickend*
“Ich glaub’ ich habe Wehen…”
*...*
*...*
*...*
*Augen auf! Hellwach!*
“Holy Sh***!”
Meine innere Vaterfigur rannte. Rannte mit allen Vorsätzen und Glaubenssätzen bereit alles zu geben. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es gegen 6 Uhr war, also würde jetzt die lange Phase beginnen bei der die Wehen innerhalb von vermutlich 4 bis 8 Stunden ansteigen bis die Geburt tatsächlich beginnt. Taschen waren gepackt und auch sonst alles bereit. Also dachte ich mir ich bleibe entspannt und unterstütze meine Frau bei allem was Sie braucht. Somit stieg sie erst einmal in die Badewanne um herauszufinden ob es wirklich Wehen waren. Man sagte uns der Schmerz würde im warmen Wasser nachlassen sollten es noch keine richtigen Wehen sein. Besser wurde es nicht...6:20 Uhr.
Ich sagte meiner Schwester bescheid, da sie mit in den Kreisssaal sollte, sagte ihr jedoch auch, dass noch genügend Zeit sei. Sollte ich bereits jetzt unsere Hebamme anrufen? Wahrscheinlich noch zu früh. Meiner Frau war deutlich anzusehen, dass Sie bereits jetzt mit den Schmerzen der Wehen kämpfte. Ich dachte mir wenn es so losgeht muss dass ja ziemlich heftig werden. Wer soll das denn über Stunden hinweg aushalten? Schon wieder eine Wehe. Also rief ich die Hebamme doch an und stellte Sie auf Lautsprecher.
“Hi ihr Beiden!”
“Hi! Meine Frau hat vermutlich wehen. Sie ist bereits in der Wanne”
“Ok es scheint ja gerade erst begonnen zu haben. Ich mache mich bereit, meldet euch wieder wenn die Wehen sehr stark sind und die Abstände sehr kurz, dann treffen wir uns im Krankenhaus. Deine Frau wird wissen wann ihr euch auf den Weg machen müsst.”
“Ok in Ordnung.”
*aufgelegt*
Sehr stark? Ich schaute in das Gesicht meiner Frau. Keine Träne, unterdrückte Schmerzensschreie in den Wehen...wenn das noch nicht stark ist was kommt denn da noch?
6:40 Uhr. Wie viele Wehen waren das jetzt in den letzten 20 Minuten? 4? 5? Und jede schien stärker zu werden. Ich war innerlich bereit und frage mich wie lange wir noch warten sollten, vertraute jedoch meiner Frau, denn sie würde es am besten wissen.
Die Schmerzen unterdrücken ging nicht mehr. Meine Frau wurde so laut, dass ich beschloss die Fenster zu schließen damit nicht gleich die ganze Straße auf den Beinen war. Die Abstände wurden nun auch zunehmend besorgniserregend gering. Ich hatte seit dem Aufstehen diese mit dem Handy gestoppt.
Die Schreie wurden nun in den Phasen so laut, dass es Zeit war zu entscheiden. Ich kannte meine Frau sehr gut und wusste um ihre Schmerzgrenze und die war vor 10 Minuten erreicht. Raus aus der Wanne und Hebamme und Schwester informiert, dass wir losfahren. Zwischen den Wehen, Unterwäsche an, Shirt an, Hose an, Socken an. Für jedes Kleidungsstück haben wir eine Wehen-pause benötigt. Ich rannte runter und parkte das Auto so schnell es ging direkt vor der Haustür, da an einen Gang zum Parkplatz nicht mehr zu denken war. Wieder rein und meine Frau holen. Sie war im ersten Stock und musste noch die ganze Treppe runter. Ok kriegen wir alles irgendwie hin. 2 Wehen später waren wir im Erdgeschoss. Laufen war langsam keine Option mehr. Mein Kopf lief auf Autopilot. Keine Fragen, keine Zweifel, keine Überlegungen sondern nur noch Handeln.
Gegen 7:40 Uhr saßen wir im Auto. Es gab nun keine Rücksicht mehr. Die Schmerzensschreie meiner Frau waren Ohrenbetäubend und mein Adrenalin Level drang in bisher ungeahnte Weiten vor. Dennoch war ich...entspannt? Ich weiß nicht wieso aber meine Gedanken waren kontrolliert, richtig, nicht abwägend sondern genau wissen was zu tun war.
Den Weg zum Krankenhaus kannte ich auswendig. Dank unserem Vorbereitungskurs wusste ich genau wo ich zu parken hatte und wo wir hin mussten. Blinker und Ampeln habe ich großteils ignoriert und Geschwindigkeitslimits kamen mir nicht einmal in den Sinn. Zum Glück war es noch sehr früh am Morgen, sodass die Straßen leer waren. Am Krankenhaus angekommen, erkannte ich, dass wir nicht durch den Haupteingang konnten, da sich dort eine Baustelle befand. War ja klar...Murphys Law. Auf dem hinteren Parkplatz angekommen blickte ich kurz zu meiner Frau. Keine Träne, keine Angst...dafür Wille und auch ein kleines bisschen Freude. Ich hatte das Gefühl neben dem stärksten Menschen auf dieser Welt zu sitzen und fragte mich, während mir eine sehr männliche Träne in die Augen schoss, womit ich dieses Glück verdient hatte.
Tunnelblick
Selbst mir war klar, dass dieser Prozess keine Stunden mehr andauern würde. Also raus aus dem Auto um einen Rollstuhl zu besorgen. Meine Frau musste so lange im Auto warten und mit den Wehen klar kommen. Und ja...man hörte sie aus dem geschlossenen Auto in einem ca. 20 Meter Radius den Parkplatz beschallen. Also rannte ich so schnell es ging. Mein Gott war dieser Weg lang! Bis ich mit dem Rollstuhl zurück kam vergingen gute 10 Minuten. Das hätte man besser lösen können liebes Krankenhaus.
Tür auf und Frau inklusive Baby in den Rollstuhl verfrachtet sobald es die Wehen-pause zuließ. Ich wusste sie wollte nicht das ganze Krankenhaus zusammenschreien und versuchte sich so gut es ging zurück zu halten. Also schob ich zu schnell es ging. Sie krallte sich in den Rollstuhl und rief “Langsamer! Langsamer!!!”. Ups, ok einen Gang runter Vaterfigur. Wir machen das schon...
Wir mussten noch mit einem Fahrstuhl in den dritten Stock des Krankenhauses. Dieser war jedoch so schmal, dass nur wir dort hinein passen würden. 2 ältere Frauen standen neben uns und warteten auf den selben Fahrstuhl. Die nächste Wehe...meine Frau sagte nichts...keinen verdammten Ton! Wie war das möglich? Stimmte etwas nicht? Der Fahrstuhl war da und wir bekamen freundlicherweise den Vorzug. Die Türen schlossen sich und meine Frau legte wieder los. Erleichterung...
Sie hatte es nicht anmerken lassen wollen? Wie ist das möglich? Wie kann ein Mensch in der Lage sein dieses Level von Schmerz zu unterdrücken? Ich wusste nicht ob ich gerade Angst sollte oder nur beeindruckt war.
Oben angekommen erwartete uns die Hebamme bereits und wir waren verdammt froh sie zu sehen. Im Kreißsaal fühlte die Hebamme kurz in welchem Stadium der Wehen sie war und sagte:
Hebamme: “Das sind keine normalen wehen, dass sind bereits Presswehen! Das dauert jetzt nicht mehr lang dann ist die Kleine da.”
“...”
“......”
Meine Frau: “Schmerzmittel?”
Hebamme: “Ich kann Dir jetzt leider kein Schmerzmittel mehr geben. Dafür bist du schon zu weit.”
Ich schluckte...Tränen begannen mir das Gesicht herunter zu laufen. Hatte ich zu spät reagiert? Bin ich zu langsam gewesen? Für Selbstvorwürfe blieb allerdings keine Zeit mehr, denn der Prozess war in vollem Gange. Keine Ahnung was meiner Frau gerade durch den Kopf schoss. Angst? Vorfreude? Ungewissheit?
Die Hebamme machte ihr deutlich zu pressen. In seitlicher Lage schaute meine Frau mich an und ich saß bei ihr am Kopf...Ich wollte ihr Hand halten und sie unterstützen. Sie wollte jedoch nicht.
Wir alle waren in einem Tunnel. Dieser Prozess musste nur noch enden. Ohne hier jemandem Angst machen zu wollen...ich habe meine Frau noch nie in diesen hohen Tonlagen schreien gehört. Bei jeder Wehe, bei jedem Pressen, zog sich in mir alles zusammen. Jeder Ton drang in Mark und Bein und erschütterte alles was dort war. Ich wollte nur noch, dass ihre Schmerzen enden.
Meine Frau fragte immer wieder ob das Köpfchen schon zu sehen sei damit sie einen Indikator hatte wie weit dieser Prozess bereits war. Tränen flossen in Bächen herunter. Ihr Körper windete sich. Bei jedem Pressen biss sie die Zähne so stark zusammen, sodass ich dachte, dass ihr Kiefer bald brechen würde. Sie legte alle ihre Kraft in jede Wehe um unser Mädchen zur Welt zu bringen. Schreien, Pressen, Zähne zusammen beißen, sich festkrallen. Ich konnte nichts tun außer da zu sitzen und den Mund zu halten soweit es ging. Ich wollte ihr sagen wie toll sie das macht. Wie stark sie ist und dass sie es bald geschafft hatte. Doch meine Intuition sagte mir, dass sie bereits genug zu tun hatte und in ihrem ganz eigenen Tunnel war.
Ich fragte die Hebamme wie viele dieser Wehen es denn noch werden würden, da meine Frau bereits unter Tränen rief, dass sie nicht mehr konnte. Sie sagte es seien noch ca 4 bis 5 wehen ehe unsere Tochter auf der Welt sei. Ungläubig dachte ich, dass diese Aussage zur Beruhigung diente denn das Köpfchen war noch nicht einmal zu sehen.
Ich konzentrierte mich zudem nur auf das Gesicht meiner Frau und vermied bewusst zu beobachten was in der unteren Körperhälfte geschah. Ich brauchte die Bilder nicht und ich ging davon aus, dass es ihr auch lieber war. Ich sollte recht behalten.
Sie legte sich weitere 3 mal ins Zeug. Die Schmerzen...der ganze Vorgang in ihrem Körper...ich hatte noch nie so etwas intensives erlebt. Auch mein Körper spannte sich in jeder Wehe mit an. Er wollte helfen, den Schmerz übernehmen, es einfacher machen, doch er konnte nicht. Tränen flossen auch bei mir. Es gab keinerlei Kontrolle mehr und alles lief nur noch rein instinktiv.
Dann der Schrei den ich niemals mehr vergessen werde. Ein Schrei den ich noch nie zuvor gehört hatte. Sobald die Hebamme das Köpfchen unserer Tochter fassen konnte zog sie die Kleine mit einem Ruck heraus und der erste Schrei unserer Tochter war zu hören. Es war das schönste was ich je gehört hatte. Es war echt. Das war unser Baby. Sie existiere wirklich. Für mich war Sie bisher immer weit entfernt. Im Bauch meiner Frau konnte ich sie nicht sehen, fühlen, greifen und auch die Ultraschallbilder waren nicht “echt”. Ja sie war die ganze Zeit da doch hier war DER Punkt. Der Punkt an dem unsere kleine Tochter für mich wirklich real wurde.
Ankunft
Die Hebamme wollte unsere Tochter meiner Frau auf die Brust legen, doch die Nabelschnur war zu kurz. Die Hebamme fragte mich:
“Möchtest Du die Nabelschnur durchschneiden?”
Und ob ich das wollte! Sie erklärte mir ganz schnell, dass ich weder meiner Frau noch unserer Tochter damit Schmerzen zufügen würde, gab mir die Schere in die Hand und zeigte mir die Stelle an der ich schneiden sollte. Es verlief schnell und ohne Probleme.
Die Hebamme gab unsere Tochter auf die Brust meiner Frau die ihren Oberkörper frei gemacht hatte, damit die beiden direkt Hautkontakt spüren konnten. Sie weinte weiterhin ein bisschen und ihre Mutter schütte all’ die Liebe über sie aus, die sich in den letzten 9 Monaten angesammelt hatte.
Zur Erinnerung. Ich habe hier einen Vorgang von ca. 30 Minuten beschrieben. Die Intensität mit der alles Ablief war unglaublich. Meine Schwester wartete noch immer vor dem Kreißsaal da es bereits zu spät war für Sie um dabei zu sein. Nachdem also der Arzt meine Frau und Tochter untersucht hatte, wobei anzumerken war, dass meine Frau keinerlei Verletzungen von der Geburt davon trug und ich sicher war, dass es beiden gut ging, wollte ich meiner Schwester Bescheid geben.
Ich ging also einen ca. 20 Meter langen Flur entlang. An dessen Ende wartete Meine Schwester hinter einer großen Tür. Ich ging diese Weg schnell. Alles in meinem Körper begann sich zu bewegen. Wie ein langsamer Tanz der nun starten sollte. Meine Schritte wurden schneller weil ich wusste was gleich kommen würde. Ich riss die Tür auf versuchte meiner Schwester ins Gesicht zu lächeln doch ich musste aussehen wie ein Ballon der kurz vorm Platzen war.
“Oh, was ist los? Was ist los???”
“A-Alles gut. Beiden g-geht’s gut!”
Und dann platzte der Ballon. Alles...die Anspannung, die zurückgehaltenen Tränen, einfach alles explodierte. Und alles explodierte in den Armen meiner Schwester die genau wusste wie sie diese Situation handeln musste. Ich weinte so stark, dass andere gedacht haben könnten, dass etwas sehr schlimmes passiert sein musste. Ein paar Minuten schluchzte ich mir die Seele aus dem Leib. Auch das war eine völlig neue Erfahrung für mich. Heute noch frage ich mich, wie es gelaufen wäre wenn sie nicht da gewesen wäre.
Es war vorbei, wir hatten es geschafft. Die Schmerzen meiner Frau, die völlige Ahnungslosigkeit in der man nur Reagieren und Handeln kann, die Ungewissheit über den Prozess und ob alles gut gehen würde...waren vorbei. Zudem war alles gut gelaufen und allen ging es gut. Ich empfand nichts als Respekt und Dankbarkeit.
Was eine Frau im Stande ist zu leisten, dafür finde ich an dieser Stelle keinerlei Worte. Mir als Mann, und das sage ich in aller Ernsthaftigkeit, hätte man ein Grab schaufeln können. Ab diesem Zeitpunkt, auch wenn ich vorher viel gesehen und Erfahrungsberichte gehört hatte, war mir persönlich nun unmissverständlich klar, warum auf dieser Welt die Frauen Kinder gebären und nicht wir Männer.
Nun begannen die ersten Stunden mit unserer wunderbaren Tochter. Und genau hier nahm das Leben noch einmal Anlauf um mir das eine oder andere sehr deutlich klar zu machen. Doch das ist eine Geschichte für den nächsten Teil deiner Reise durch meinen Kopf...