Willkommen zurück in meinem Kopf. Gefällt es Dir hier? Nimm erneut Platz wenn du magst. Heute erzähle ich Dir von spannenden, traurigen und erstaunlichen Dingen. Beobachte weiterhin gut und beurteile wenn du möchtest, doch nimm Dir Zeit. Dieser Abschnitt der Reise dauert 9 Monate...

Schwanger? Check!

Wir hatten es also geschafft. Endlich schwanger! Und jetzt?

Meine innere Vaterfigur machte sich bereit zum Start und nahm schon einmal, wie ein Olympia-Läufer, Stellung auf seiner Bahn ein. Soweit so gut. Erstmal ändert sich ja nichts oder? Für mich als Vater ja eh nicht. Schließlich war meine Frau schwanger, nicht ich.

Ich wurde weder nervös, noch machte ich mir viele Gedanken denn ich hatte ja noch 9 Monate zur Vorbereitung. 9 Monate sind eine lange Zeit. Wie lange sollte man nochmal warten bis man Andere informieren sollte? Ach ja, 3 Monate...3 Monate??? 3 Monate in denen wir unser Glück mit niemandem teilen dürfen? Na gut ok, wir kennen uns mit der Warterei schließlich ziemlich gut aus. Aber ob wir das aushalten würden?

In den ersten Wochen also erst einmal zum Ultraschall. Ich denke man konnte unser Grinsen sogar auf dem Weg zur Kinderwunschklinik irgendwie hören. Nach vielen Glückwünschen des Klinik-Teams also etwas Gel auf den Bauch meiner Frau und schon durften wir einen Blick auf die Zukunft werfen. Gespannt den Monitor betrachtend und in der Erwartung nicht viel erkennen zu können, wuchsen meine Augen auf die doppelte Größe an während in meinen Mund locker zwei Gurken quer hinein gepasst hätten. Ich war ja kein Experte in diesen Dingen aber warum waren da bitte zwei Bläschen zu sehen???

Doppeltes Glück?

Ich schaute zu meiner Frau. Sie hatte den selben Gesichtsausdruck. Ich schaute auf den Monitor, wieder zu meiner Frau, wieder auf den Monitor und schlussendlich zur Ärztin. "Sind das...Zwillinge?"

Die Ärztin beglückwünschte uns erneut und bestätigte unsere Annahme. 3 Jahre konnten wir nicht schwanger werden und jetzt tatsächlich Zwillinge? Meine innere Vaterfigur löste sich von seiner Startposition, winkte ab, und ging seines Weges. Klar, wir hätten damit rechnen sollen, da wir ja auch zwei befruchtete Eier eingesetzt haben, doch wenn es real wird, dann ist das eine ganz andere Geschichte. Wir verließen die Praxis mit einem Gefühl noch größerer Freude. Jedoch spürten wir beide wie Nervosität und Angst, zwar noch sehr gering aber spürbar in uns wuchsen. Zwillinge? Schaffen wir das? Meine Zuversicht, meine Entscheidung Papa zu werden, mein Mut und mein Wille...alles schien mit dem Rücken zur Wand zu stehen, sich fragend: Was nun?

Doppelte Kosten, doppelte Anstrengung, doppelte Ungewissheit aber auch doppeltes Glück. Ok, ja wir packen das schon. Schließlich gab es kein besseres Team auf dieser Welt als uns!

Zusammen ist alles möglich!

Wir machten uns also gegenseitig Mut und die Wochen vergingen bis wir es endlich anderen sagen durften. Jedoch warteten wir keine 3 Monate sondern ca. 7 Wochen. Zu früh? Was wenn etwas mit den Babies passiert? Embryos aus künstlicher Befruchtung hatten schließlich ein erhöhtes Risiko für eine Fehlgeburt. Also sagten wir es nicht allen sondern nur den engsten Vertrauten. Wenn es wirklich eine Fehlgeburt geben sollte wollten wir nicht alleine durch diese mentale Hölle gehen.

Mein bester Kumpel freute sich sehr für mich. Als ich ihm dann offenbarte, dass wir Zwillinge bekommen, brach er in schallendes Gelächter aus. Er hatte bereits zwei Mädchen und wusste genau was es bedeutet Kinder zu bekommen. Eine ähnliche Reaktion bekam ich von allen Vätern denen ich diese Nachricht zukommen ließ. Ok ja das macht Mut...nicht. Aber es waren meine Kumpels und ich wusste genau wie sie es meinten. Wir waren bereit, auch für Zwillinge! Meine innere Vaterfigur ging wieder in Position.

Im allgemeinen war das Offenbaren der Schwangerschaft jedoch eher eine ernüchternde Erfahrung für mich. Klar, es gab kurz viel Freude aber das war es dann auch schon. Irgendwie hatte ich da mehr erwartet...

Abschied nehmen

Einige Wochen später gingen wir zum nächsten Ultraschall und bemerkten, dass eines der Bläschen nicht so zu wachsen schien wie das andere. Die Ärztin sagte, dass ein Ei sich wohl nicht weiter entwickeln würde. Dennoch sollten wir noch etwas warten, denn eine Woche später hätten wir einen weiteren Ultraschall-Termin, dann aber bereits beim Gynäkologen. Schauten wir gerade einem unserer Zwillinge beim sterben zu? Sollte das alles ein riesengroßer Witz sein? Meine innere Vaterfigur wurde wütend. Sehr wütend! Und traurig...unendlich traurig. Wie es meiner Frau wohl ging? Sie trug schließlich die Beiden bereits in sich. Für sie musste dies doch 100 mal schlimmer sein. Also gut Vaterfigur: Aufstehen, Brust raus und Augen gerade aus. Du wirst gebraucht!

Meine Frau und ich sprachen viel miteinander. Nahmen uns in den Arm und trösteten uns. Ich versuchte immer wieder deutlich zu machen, dass sie keinerlei Schuld daran trug und solche Dinge nun mal passieren. Dies lag außerhalb allem was wir kontrollieren konnten.

Der Ultraschall-Termin beim Gynäkologen bestätigte dann was die Ärztin bereits vermutete. Einer der Embryos würde sich nicht mehr weiter entwickeln und mit der Zeit einfach verschwinden. Meine Frau würde eventuell eine leichte Blutung bemerken sobald der Körper diesen Ausscheiden würde. Ich versuchte mir vorzustellen wie sehr meine Frau gerade leiden musste. Was sie empfinden und ertragen musste. Ich konnte es ihr nicht nehmen, dass war mir bewusst, aber meine Güte haben wir Männer es vergleichsweise
leicht.

Nun waren wir also dem Punkt an dem wir uns zu früh gefreut hatten. Wir informierten alle die von der Schwangerschaft wussten über den Verlust und alle standen uns bei. Um ehrlich zu sein habe ich es immer etwas heruntergespielt: "Wir kannten ja das Risiko", "Sowas passiert sehr oft bei einer künstlichen Befruchtung", etc. Ich dachte ich könne meiner Frau so etwas von dem Schmerz nehmen doch wir beide wussten, dass es verdammt weh tat.

Wir fingen uns jedoch recht schnell wieder und freuten uns, dass der andere Embryo sehr gut wuchs und sich hervorragend entwickelte. Während meine Frau auf einiges verzichten musste änderte sich für mich überhaupt nichts. Dies lag jedoch auch daran, dass meine Frau keinerlei Probleme mit der Schwangerschaft hatte. Keine Übelkeit, keine extremen Gelüste oder Ähnliches.

Was darf es sein?

Langsam aber sicher kamen wir in den Bereich in dem wir erfuhren welches Geschlecht unser Baby haben würde. Wir wünschten uns beide ein Mädchen und hatten absolut keine Lust auf einen Jungen. Kleine Jungs waren irgendwie nicht meine Welt und hatte bereits mit Mitte 20 einen Namen, sollte ich irgendwann einmal ein Mädchen bekommen. Einen schönen Namen für einen Jungen fanden wir jedoch beide nicht. Mit einer Ausnahme, aber das ist eine andere Geschichte.

Mit großer Anspannung ging es dann zum Ultraschall-Termin. Der Arzt fragte ob wie das Geschlecht wissen möchten und wir stimmten zu.

"Was wünschen sie sich für ein Geschlecht Frau XY?"
"Ein Mädchen!"
"Und Sie her XY?"
"Auch ein Mädchen!"
"Wäre es schlimm für sie wenn es ein Junge wird?"
"... Nein"
"Das ist schön...doch es wird ein Mädchen."

Cool bleiben...nicht zu doll grinsen...Würde bewahren...
Ach sch*** drauf! High Five! Fist Bumb! Freuen!
In Gedanken Strampler kaufen und das Zimmer streichen!
Unsere kleine Prinzessin ist unterwegs!

Wir wurden belohnt! Das was wir uns von Anfang an gewünscht hatten würde nun real werden! Real? Moment! Noch war sie nicht da und einen Verlust gab es bereits. Eine Bekannte hatte ihr Baby im 5. Monat verloren. Eine Andere bei der Geburt. Hier ist gar nicht in trockenen Tüchern. Da waren sie wieder, Zweifel und Angst. Ich hasste die Beiden...

Und wo sind jetzt die Gefühle?

Jedoch verlief die Schwangerschaft im weiteren Verlauf sehr positiv. Meine Frau machte jeden Kurs mit den sie konnte und saugte sämtliche Informationen in sich auf. Bis zum neunten Monat arbeitete sie sogar weiter. Wir besuchten einen Vorbereitungskurs in dem wir neue Freunde fanden und fühlten uns sehr gut vorbereitet auf das was kommt. Der Bauch wuchs und ich war mir sicher, dass es keine andere Frau auf dieser Welt geben könne, von der ich wollte, dass sie mein Baby austragen würde. Ich wusste, dass selbst wenn ich morgen sterben würde, es unserer kleinen Prinzessin bei ihr an nichts fehlen würde. Das gab mir eine große Sicherheit und verwies Zweifel und Angst dahin wo sie hingehörten: Weg.

Wir besuchten vor der Geburt noch Disneyland und ein Musical um noch etwas Zeit für uns zu haben. Das Kinderzimmer war fertig. Alles war bereit und es konnte jederzeit losgehen.

Losgehen? Meine innere Vaterfigur fragte sich wann es denn soweit wäre. Hätte es nicht während der Schwangerschaft schon soweit sein müssen? Voller Papa-Modus! Jeden Tag den Bauch küssen und sich über die Bewegungen der Kleinen freuen! Ja so sollte es sein...war es aber nicht. Wo war mein Papa-Modus? Meine Vaterfigur wartete ungeduldig auf den Start. Hätte ich mich nicht anders fühlen müssen? Alles war normal. Für mich hatte sich nichts verändert. Wo ist bitte die Verbindung zu meinem Kind???

War ich doch nicht bereit? Warum berührt mich das alles so relativ wenig? Warum war ich nicht schon jetzt genauso verliebt in die Kleine wie meine Frau. Sie genoss jeden Tag und ich dachte weiterhin eigentlich nur an meine ToDos und wie ich sie wann erledige. Das hatte ich mir wirklich anders vorgestellt...

In den letzten Wochen vor der Geburt begann meine Frau nachts alle 2-3 Stunden aufzustehen. Dafür konnte sie nichts da ihr Körper bereits im Training für die Zeit nach der Geburt war. Irgendwann ging ich Nachts in das Kinderzimmer damit ich Schlaf finden konnte. Das war ungewohnt und auch nicht gewollt, aber nötig für uns Beide. Der Termin rückte immer näher und ich erwartete jetzt langsam wirklich zu fühlen was da auf uns zukommt. Doch es fühlte sich weiterhin an wie immer. Was stimmte nicht mit mir? Meine innere Vaterfigur zuckte auch nur mit den Achseln...

Und dann? Dann ging es los...